8. August 2024
lausche Donnerstag den 9. – 11:16 – Fokjes Tuin (Garten)/Gytsjerk/Noord Fryslân –

Schon beim Frühstück liegt bei diesen freigeistigen Friesinnen die ganze Welt auf dem Tisch. Höre erstaunt und erbaut Sjoerdje und Gerbrig zu, die glücklicherweise aus eigener Erfahrung – und nicht aus niederdrückenden „Downloads“ – sprechen und beileibe nicht immer einer – möglicherweise von anderen erdachten und geposteten – Meinung sind:)
Nachbarin und Freundin gesellen sich zu uns an den Frühstückstisch in Fokjes irre vielfältigen Gartenlebensraum und legen sofort los mit Selbstdenken und Selbstreden – bei ihnen geht es „selbstredend“ nicht um den eigenen Körper oder gar seine Malästen, auch nicht um Konsum und Kommerz oder irgendwelche Äußerlichkeiten wie „schöner Wohnen und Essen“. Gerbrig, Bäuerin, legt ohne weitere Vorrede den von ihr bevorzugten gleichberechtigten Gesellschaftsentwurf auf den Tisch. Und bezieht sich dabei (siehe Der karierte Koffer fährt nach Norden & Der karierte Koffer fährt wieder nach Norden) auf die Sámi. Gerbrig hat gerade ein Buch von einer Niederländerin gelesen, die zu Fuß durch ganz Norwegen gewandert ist, und dabei auch durch Sápmi, das Siedlungsgebiet dieses Urvolkes erstreckt sich ja über den gesamten Norden des Landes. Die Sámi würden alle Wesen als gleichwertig und gleichberechtigt schätzen, niemand sei dort Besitz eines anderen oder minderwertig und werde ausgebeutet. Das Land gehöre allen. Die Sámi würden uns so vormachen, wie eine gut mit der Natur gemeinsame Sache machen und überleben könne.
Soerdje fügt als Beispiel für eine egalitäre, teilende Gesellschaft das vom Anthropologen Ben Fogle geschriebene Buch „Into the Kongo“ an.

Fokje ist ungefähr der nachhaltigste Mensch, den ich je getroffen habe – und dabei zwar ein tolles Vorbild, aber niemals belehrend und rechthaberisch – hier verarbeitet sie während unserer Debatte über Länder, Wirtschaften, Teilen und Wertschätzen die Früchte der Saison.
Fokjes schwarzer Kater sitzt wie ein Bild und lauscht ebenfalls. Er hieß mal Luka, heißt jetzt Nuka, denn Fokje hält Lukaschenko für keinen geeigneten Namensgeber.
Die Kinder sollen von uns Alten lernen, betont Gerbrig. Sie müssten wissen, wie aufwändig die Produktion von Lebensmitteln sei!
Und Deutschland könne was von Norwegen lernen, dort würden die Bauern „umarmt“. Sie weiß als Milchbäuerin um den widerwärtigen Preisterror der Großhändler. Davon später. Denn Gerbrig muss wieder auf den Hof, und Fokje und Soerdje machen nun Besorgungen beim kringlop (übersetzt Kreislauf, steht hier für Second-Hand-Laden). Was es gebraucht und recycelt gibt, kaufen diese Frauen nicht neu.
Soerdje erbeutet eine prima Pfanne und eine Wärmflasche aus Metall, von guter alter Art. Die wärmen einfach besser und helfen auch beim Plastikverzicht.
Fokje kauft auch Geschenke am liebsten aus Tausch- und Kreislaufwirtschaft: sich selbst schenkt sie einen Haarreifen, ihr Enkel bekommt eine Tasse mit Zwerg und Fliegenpilz, ich bekomme zu meiner großen Freude den idealen Reisezahnputzbecher (Fokje guckt genau hin, was wem wirklich fehlt!); mit der Friesche Vlag, der friesischen Flagge, die nun auch mir für „tägliche“ Freiheit steht.

Abends zeigt mir Fokje eine versteckte und einsame Badestelle, „im Offenen“. Sie kennt sich gut aus mit dem Riesenvergnügen des swimming in the open.

Dabei lässt sie mich freundschaftlich alleine und so bade ich nun wunderbar einsam im Naturschutzgebiet Grutte Wielen, im Dreieck von Leeuwarden, Gyts- und Tytsjerk.

Ein wundervolles Bad! Danke Fokje!

Ich fische zwei Bücher aus dem Tauschschrank, der heißt hier minibieb, „neem me. ruil om. vul aan“ steht dran. Das heißt wahrscheinlich so etwas wie: nimm mit, bewege, und fülle auf!
Das eine Buch heißt Sonny Boy und ist ein niederländischer Bestseller über einen Mann aus Surinam und seine niederländische Gefährtin – ihr gemeinsamer Sohn wird Sonny Boy genannt – die beide als Widerständler von den deutschen Nazis verschleppt wurden.

Der Vater gelangte ins KZ Neuengamme (während ich das hier schreibe, fällt mein Blick auf die nicht allzu weit entfernte Gedenkstätte dort), von dort auf die Cap Arcona, die vor England bombardiert wurde. Er schaffte es als hervorragender Schwimmer sogar an die englische Küste, wurde aber dort erschossen. Es handelt sich um eine wahre Geschichte, und – wirklich wahr! – hatte Fokje mir am Vortag davon erzählt. Lese mich nun Stück für Stück durch den niederländischen Text und engagiere mich hier vor Ort für Gedenken und Verständigung.
Das andere Buch leihe ich erstmal Fokje. Es ist eine Antiquität und spielt in den Niederlanden zu Zeiten des deutschen Angriffskrieges.
Abends schauen wir in trauter Eintracht zu, wie die deutschen Hockeyspieler gegen die Niederländer verlieren.