Der karierte Koffer

Auf unsrer Wiese gehet was…

17. Juni 2025

schnuppere Dienstag den 17. – 09:56 – nicht vor der Blüte gemähte, teilweise fette, teilweise feuchte Marschwiese/Neuengamme/Vier- und Marschlande/Hamburg –

und wir machen das jetzt mal von analog bis zusammen auf Biologinnenart, alles außer schnuppern: „Schmeils Flittchen“ (Pardon! Als aufmerksame Anwohnerin und Besucherin der Reeperbahn pflege ich seit mehr als 50 Jahren mindestens Solidarität, aber auch immer wieder Austausch mit Sexarbeiter*innen und möchte Sie/Euch auf gar keinen Fall diffamieren!), wie wir in unserer teilweise fröhlich gedankenlosen Student*innenzeit in den aus heutiger Sicht ziemlich zuversichtlichen 1970ern unser Buch zum Bestimmen der wildwachsenden und häufig kultivierten Gefäßpflanzen – kriegen wir gleich, Gefäß meint hier nicht Vase:)) – nannten, weil die Autoren der „Flora von Deutschland und seinen angrenzenden Gebieten“ Schmeil und Fitschen hießen, schreibt in Sachen Malva moscháta: „nach Moschus duftend“. Habe meine Nase reingesteckt und stelle fest, dass diese Gefäßpflanze tatsächlich ihre Bestäuber*innen mit einem Duft anlockt, den wir in unserer Biologinnen-WG im Hamburger Univiertel großzügig aufzutragen pflegten, auch wenn wir wussten, dass er manche sogar abstößt, Auslese halt. Bevor wir uns in weitere Einzelheiten steigern, kommen wir jetzt erstmal zu den Pflanzen im unten abgebildeten Gefäß:

Das sind nämlich allesamt Gefäßpflanzen. So nennen Kenner*innen alle Pflanzen, die in ihrem Inneren spezielle Leitungsbahnen besitzen, in denen sie Wasser, darin gelöste Stoffe, hauptsächlich Zucker, transportieren. Sie werden auch als Höhere Pflanzen bezeichnet und Bärlappgewächse und Farne gehören (auch ziemlich cool! Eine nennt sie auch Gefäßsporenpflanzen …) dazu, sowie all die Samenpflanzen in der Vase. Ihr ahnt sicher, dass der Bildung von Samen zur Ausbreitung die Bildung von Blüten vorausgeht? Die oben abgebildeten Geburtstags-Blüten kommen von Frauen, die sich stets um (wilde) Bienen und Blumen bemühen – mit schönem Erfolg: von meiner Neuengammer Nachbarin Hilke und von Gärtnerin Nathalie, die dem Wandelgut (https://wandelgut.de/) eine Blumenstrauß-SoLaWi hinzugefügt hat, die nicht nur Menschen, sondern auch Insekten vieler Art „beglückt“.

Soweit heute zu Bienen und Blumen. Wir wollen ja bestimmen. Daher wenden wir uns dem „Schmeil-Fitschen“ zu, einem Buch mit mehr als 500 Seiten. Otto Schmeil un Jost Fitschen begründeten diese Exkursionsflora. Sie erschien erstmalig 1903, mein bei allen Irrungen, Wirrungen und Umzügen wie ein lebendes Wesen gehütetes Exemplar ist von 1973. Die Gesamtauflage beträgt mittlerweile 2,5 Millionen, sowas muss auch mal gehypet werden! Fotos sind nicht drin, denn Kenner*innen bestimmen per Wort und Schrift und kriegen im Schmeil-Fitschen – im Gegensatz zum Rothmaler, davon ein anderes Mal – nur einige ganz wenige Zeichnungen. Es hilft schon, wenn eine werdende Botanikerin sich erstmal über die Familienzugehörigkeit klar ist: Die Malvengewächse sind Kräuter (einjährig) oder Stauden (mehrjährig). Ihre Blüten sind „radiär“, das heißt, die Blütenblätter sind kreisförmig um eine zentrale Achse angeordnet, im Gegensatz zu den blauen, die ich auch in meinem extrem fröhlichen und hyperdiversen Geburtstagsstrauß fand:

Außerdem trägt die Familie der Malváceae konsequent einen Außenkelch, habe eines der zart nach Moschus duftenden Exemplare abgerupft, umgedreht und auf meine andere Exkursionsflora gelegt:

Hier kommt die Konkurrenz: Immer wenn jemand von uns feldforschenden Biolog*innen über die damalige deutsch-deutsche Grenze fuhr, bekam sie oder er eine Bücherliste. Besonders hitverdächtig war der „Rothmaler“. Der Botaniker Werner Rothmaler war wohl ein gar nicht so weit entfernter Geistesverwandter, gründete er doch in meinem Geburtsjahr (1954) eine Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse; von 1953 – 1962 leitete er an der Universität Greifswald das Institut für Agrarbiologie. Die von ihm begründete Exkursionsflora – Atlas der Gefäßpflanzen enthält komplexe wissenschaftliche Abbildungen von 2814 Pflanzenarten, die deutlich mehr zeigen als jede mir bekannte App (weshalb ich auch bei meinen Exkursionen mit Kindern immer einen Rucksack voll Bücher dabeihabe, die sie mir förmlich aus den Händen reißen, diese alten Werke bringen sie zum Staunen – und zum Zeichnen). Wir werden nun mit der Bestimmung fortschreiten: Zur Familie der Malvengewächse gehören in unserer Region drei Gattungen, auf Deutsch Eibisch, Strauchpappel und Malve genannt. Bei letzterer steht – im Schmeil-Fitschen -, die Blättchen des dreizähligen Außenkelches stünden frei, seien nur am Grunde mit dem Kelch verwachsen, und bei Málva moscháta, der Moschusmalve, die Außenkelchblätter seinen lanzettlich. Getroffen, mit der Lanze:)! Na bravo. Jetzt nicht aufgeben.

Die Blüten der Moschusmalve sind rosa oder weiß. Vor einigen Jahrhunderten war sie hier in Norddeutschland noch neu, wurde aus Gründen der Schönheit eingeführt, gilt aber auch unter Schmetterlingen & Co inzwischen als heimisch, wie ich beobachten konnte. Sie gedeiht auf Wiesen, die nicht vor der Blühphase gemäht werden:

Auf unserer nicht vor der Blüte gemähten Wiese gehet was, zum Beispiel blüht gerade die Moschusmalve (Málva moscháta).

Und in Sachen Malven ging früher wesentlich mehr, die vielen volkstümlichen Namen der Wilden Malve (Málva sylvéstris) weisen auf die vielseitige Nutzung hin. Käsepappel wurde sie auf Grund ihrer Früchte genannt, die die Form eines runden Käselaibs haben, der zweite Namensteil kommt vom Wort Papp für den Kinderbrei, den eine früher daraus bereitet. Die Blätter der Wilden Malve helfen bei Reizhusten, außerdem könntet ihr Malvenblüten mit ihren feinen Aromen eurer Naturkosmetik zufügen. Malve statt Unilever & Co? Da geht noch was!

Käsepappel nannten sie früher die Wilde Malve (Málva sylvéstris), und bereiteten aus ihren käselaibförmigen schleimhaltigen Früchten Papp – Kinderbrei – und der verhinderte wohlmöglich nebenbei auch noch manchen Reizhusten. Also: Ran ans Bestimmen der heimischen Flora! Werdet genau!

Das lohnt sich unbedingt, auch in Sachen der Biodiversität. Bedenkt, dass von den Blättern der Malve die Raupen von so einem schönen Schmetterling wie dem Malven-Dickkopffalter (Charcarodus alceae) leben,

und sich in den Blüten das Zweifarbige Malven-Spitzmäuschen tummelt, ein schillerndes Käferchen:

Der Käfer namens Zweifarbiges Malven-Spitzmäuschen in der Blüte einer Wilden Malve, Belladonna2

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