Der karierte Koffer

Der graue E-Esel fährt zum Rathausmarkt

8. März 2025

picknicke Sonnabend den 8. – 12:12 – Wassertreppe am Rathaus/Altstadt/Hamburg –

wenn eine begreifen will, warum manche meine mal geliebte, mal gehasste Heimat als die schönste Stadt der Welt betrachten, könnte sie sich ein altes Foto von Hamburgs Altstadt betrachten:

Hier seht ihr den Rathausmarkt vor dem Bau des Rathauses: die viertelkreisförmige Treppe im Vordergrund stammt vom damaligen Stadtbaumeister/Baubeamten Johann Hermann Maack. Sein Motto war: „Größtmögliche Solidität, ferner Zweckmäßigkeit, Schönheit und ein mäßiges Kostenerfordernis“, und er hat danach auch das mittlerweile 170 Jahre alte Gutshaus auf der städtischen Domäne Riepenburg gebaut, das gerade verfällt (siehe den Blog Der graue E-Esel fährt ohne karierten Koffer zum Toln Spieker), 1891 – 1893, Stumper & Co, Bibliotheque nationale de France, Paris

Ich sitze zum Picknick vor der Frauendemo auch auf einer Wassertreppe, von der eine einen fast freien Blick auf die schöne Schleusenbrücke und die Kleine Alster darunter hat, auf die Alsterarkaden gegenüber und Hamburgs Wohnzimmer am Wasser, die nicht privatisierte Binnenalster hat, von wo wenig später die Paddlerinnen eintrudeln:

Der Platz hinter mir hat allerhand durchgemacht – und am Frauentag bebte er unter uns:), aber das kommt später. Denn auch in Hamburg gibt es und gab es hyperaktive Nationalsozialisten. Sie benannten den Rathausmarkt um in Adolf-Hitler-Platz. 

Nein, leider kein Kölner Karneval, Diktatoren von 1940.

Nach dem rechten der rechten Gewaltherrscher wurde der Hamburger Rathausmarkt von 1934 – 1945 benannt, beide standen fest auf dem Führerprinzip, und setzten ihre ultranationalistische, antiliberalistische, antimarxistische, antisemitische, rassistische, völkische, antikommunistische, antidemokratische Weltanschauung mit allen Mitteln durch. Das ist jetzt zu lang für Tic Toc oder Insta, aber bitte hört die Signale! Oder, wie ich neulich bei ganz jungen Antifaschistinnen las: Zu Risiken und Nebenwirkungen befragt eure Oma! Oder die jungen Frauenrechtlerinnen: Als wir mehr Rechte wollten, meinten wir keine Nazis“, dieses Banner steigt auf dem Rathausmarkt vor mir auf. 

Bürgerschaftsseite des damals neuen Rathauses 1897, die Hamburger Bürgerschaft tagte nach der Machtergreifung der Nazis in der Stadt dort im Juni 1933 zum letzten Mal.

Eine der Nebenwirkungen des Nationalsozialismus in Hamburg: Im Juni 1933 fand am Adolf-Hitler-Platz die vorerst letzte Sitzung des Stadt-Parlamentes statt, der Bürgerschaft der ehemals Freien Stadt. Der nun in Hamburg praktizierte Nationalsozialismus ist eine unter anderem antisemitische Weltanschauung: auf dem Programm stand nun Judenhass.


Ich wohnte ja mit meiner Studentinnen-WG in den 1970ern im Grindel (einem Quartier in Hamburgs Stadtteil Harvestehude), in diesem einem ehemals – vor der Nazidiktatur – sehr wichtigen Zentrum des jüdischen Lebens lebten 1933 noch 25.000 Angehörige jüdischer Gemeinden. Und vierzig Jahre später wir hörten bei Veranstaltungen im Viertel den Zeitzeuginnen zu. Einmal berichteten Mutter und Tochter, die nicht jüdischen Glaubens waren, wie sie nach dem Beginn des Judenboykottes, der nichtjüdischen Betrieben wie ihrer Bäckerei den Verkauf an jüdische Nachbar*innen verbot, unter Lebensgefahr Brote in die Vorgärten ihrer jüdischen Nachbar*innen warfen. 

Die Bornplatzsynagoge im Grindelviertel  – das Foto zeigt sie 1906 – wurde in der Reichsprogromnacht 1938 verwüstet und das lokale Nazi-Regime zwang später die jüdische Gemeinde, sie auf eigene Kosten abzureißen. Im vergangenen Jahr wurde nun ein internationaler Architekt*innen-Wettbewerb für den Wiederaufbau ausgerufen.

Nach der Reichsprogromnacht begann nach Ausgrenzung und Entrechtung auch die Deportation von Hamburger Jüdinnen und Juden. Die oben schon erwähnte Tochter der nichtjüdischen Bäckerin aus dem Hamburger Grindel erzählte uns etwas, das sich als unauslöschliches Bild bei mir eingebrannt hat: Ihre Freundin und Nachbarin, ein kleines Mädchen aus einer jüdischen Familie wurde deportiert und schrie herzzerreißend, weil sie ihren Teddybären nicht mitnehmen durfte. Beginnend im Oktober 1941 wurden allein aus dem Grindel 5296 Juden und Jüdinnen verschleppt. 

Die Nationalsozialisten wilderten auch im eher landwirtschaftlich geprägten Umland der Stadt (auf der Karte unten ist deren ursprünglicher Umfang rot eingetragen). Mit dem Großhamburggesetz verleibten sich die neuen Herrscher im Rathaus so einiges ein:

Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 (rot und mittig die bisherige Stadt, politisch war zu jener Zeit offiziell niemand mehr rot und auch nicht jeder/m sagte die Eingemeindung zu; Altona, meine heutige „Hood“ war vorher selbständig und widerständig, hier begaben sich die ersten Morde der Nazis und der Altonaer Blutsonntag).

Aus dem nun erweiterten Stadtgebiet verschleppten die neuen Herrscher 19.400 Juden. Zum Antisemitismus gesellt sich bei den Nationalsozialisten der Rassismus, frei übersetzt: absolute Ausländerfeindlichkeit. Die rassistische Ideologie von Hamburgs damaliger Regierung fußt auf in jeder Weise überholten Annahmen und Theorien:

Ein Bild von einem mittelalten weißen Mann, könnte eine spotten, wenn sie nicht so gruselig wäre, diese Wandtafel von 1911 mit Darstellungen von fünf sogenannten Menschenrassen (jede/r Biologin weiß, dass der Mensch als Art weder in Rassen, noch in Unterarten eingeteilt wird) mit dem aschblonden Europäer im Zentrum.

Im Zuge der rassistischen Weltanschauung werden Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale ausgegrenzt, diese Abbildung zeigt eine fürs 19. Jahrhundert und für heutige Ewig-Gestrige typische Einteilung der Menschen nach Rassen, wie sie auch biologisch schon lange nicht mehr haltbar ist.

Heute, am 12. März, an dem ich über meine Stadt in Zeiten des Nationalsozialismus schreibe, ist eine unermüdliche und unerschrockene Berichterstatterin über die Verbrechen der Rassisten und Faschisten gestorben, eine Hamburger Ikone, und ich fühle förmlich wie die Stadt um Peggy Parnass trauert. Habe sie auf Pressekonferenzen getroffen, denn eine ihrer vielen und vielfältigen Tätigkeiten war die einer Reporterin. Ihr Vater, Simon Parnass, war Pole, ihre Mutter, Hertha Parnass, geborene Emanuel, Halbportugiesin. Die Familie war von rassistischer Verfolgung bedroht. In ihrem Buch „Kindheit: wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete“, beschreibt Parnass, wie sie in der Zeit des aufkommenden Nazi-Terrors in Hamburg ins Ausland geschickt wurde. 

Ihre Eltern wurden im Vernichtungslager Treblinka von Nationalsozialisten ermordet. Peggy Parnass hat als Kind in Schweden überlebt und verdiente sich – schon im Alter von 14 Jahren – in Hamburg ihr Geld als Dolmetscherin für die Polizei, Sprachlehrerin, Filmkritikerin, war dann 17 Jahre lang Gerichtsreporterin für die Zeitschrift konkret, aber auch Schauspielerin, Kolumnistin, Autorin, auch Ikone der Schwulenbewegung. Peggy war unerschrocken ohne Ende, das einzige was sie nach ihren eigenen Worten störte, war der Tod. In Hamburg sagt eine in großer Verehrung und Bewunderung: Tschüß Peggy!

Die Hamburger Autorin, Kolumnistin, Reporterin, Schauspielerin Peggy Parnass ist am 12. März 2025 gestorben, 1979, Udo Grimberg

Die Nationalsozialist*innen haben hundert Verwandte von Peggy Parnass auf dem Gewissen. Und einen großen Teil der jüdischen Bevölkerung Hamburgs. Nach der Befreiung durch die englische Armee zählte Hamburg noch 647 Jüdinnen und Juden, sie hatten überwiegend versteckt und in Mischehen überlebt. 

Und so sah es nach dem Einmarsch der britischen Armee am 4. Mai 1945 auf dem Platz aus, der nun wieder Rathausmarkt heißen durfte. Die jungen Männer beschäftigen sich mit Taubenfüttern, das hab ich auch total geliebt, wenn wir aus Hamburg-Eilbek „in die Stadt“ kamen, Imperial War Museum, The British Army in north-west Europe 1944 – 45

Und so sah es damals, neun Jahre vor meiner Geburt, in meinem ersten Hamburger Quartier aus:

Nie wieder Krieg! Das war den meisten damals selbstverständlich und so lautete auch das verfassungsrechtliche Versprechen der BRD nach den deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Das Foto zeigt das Hamburger Stadtviertel meiner Kindheit – wo übrigens noch nach 1960 Menschen in sogenannten Nissenhütten, Behelfsheimen, hausten – nach einem Bombenangriff 1943, Dowd J, Royal Airforce, official photographer

Zurück auf den Rathausmarkt, zurück in die 1970er. Vom ausgedehnten Hamburger Straßenbahnnetz schrieb ich ja schon (Der karierte Koffer fährt zum Stüttgenhof). Jetzt lege ich aus Anlass der Exkursion in die Altstadt ein Bild aus meiner  mindestens roaring Twen-Zeit (unten) bei, und eine verbale Exkursion zu Scheinanglizismen wie Handy und Twen. Twen ist eine Bezeichnung für einen Menschen, der das 20., aber noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet hat. Dieses Wort entstand zur Zeit meiner Kindheit (mir widerliches Wirtschaftswunder, ihr wisst schon…, und ebenso widerliches Frauenbild, siehe unten) und bezeichnete im deutschsprachigen Raum (den Englischsprachigen war und ist die Abkürzung twen für twentysomething eher eine lästerliche Bezeichnung für kindische Leute) alles was bereits 20 Jahre alt, aber noch nicht dreißig war. Und die wirklich ziemlich junge Zeitschrift Twen. Sie erschien von 1959 bis 1971 und wir rissen sie uns aus Bargeldmangel bei den wochenendlichen Schallplatten-Feten aus den Händen.

Straßenbahn auf dem Rathausmarkt, 1975, Norbirt

Für mich als Journalistin mit Adlerinnenblick auf gefärbte oder gar verhetzende Berichterstattung ist dieses Zitat ein Hingucker: „Es waren zwei CDU-Mitglieder, der Grafiker Willy Fleckhaus und der Journalist Adolf Theobald, die vor 60 Jahren Twen entwarfen und damit einläuteten, was heute von Prof. Dr. Joseph Ratzinger als Werk der „Revolution von 1968“ verteufelt wird.“ So schrieb Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung. Aber die Christlich Demokratische Union war damals in Teilen noch wirklich christlich und demokratisch, Fleckhaus haute enorm Schönes raus, und Fotograf Will Mc Bride sorgte mit einem Bild von seiner Frau 1960 in der Zeitschrift Twen bei den einen für einen Skandal, bei den anderen für einen schwarzweißen Lichtblick und Richtung andere Frauenbilder.

Dieses Foto macht Will Mc Bride von seiner Frau Barbara. Es wurde in der Zeitschrift Twen veröffentlicht, 1960, Will Mc Bride

Zum 8. März 2025 war ich mit meiner ebenfalls feministisch denkenden und tätigen Tochter Marlene verabredet und holte sofort meinen kleinen Notizblock raus. Die auf dem Hamburger Rathausmarkt versammelten Frauen sehen heute weltweit das Leben und die Rechte der Frauen gefährdet.  Zum Beispiel durch Rüstungssubvention: „Kein Krieg hilft der zivilen Bevölkerung! Stoppt das Aufrüsten!“ Wir stimmten einstimmig ein. Zudem würden zwar die Lebenshaltungskosten steigen, aber die Löhne nicht. Und nur mit ausreichendem Lohn könnten Frauen selbstbestimmt und unabhängig leben. Wir solidarisierten uns lautstark mit den Kämpfen in Kitas und an anderen Orten der immer noch überwiegend von Frauen übernommenen Sorgearbeit, forderten ein „bezahlbares Leben für alle“. 


Das Bild oben zeigt „Zwei Hexen“ von Hans Baldung, 1523, der Grien genannte Maler war ein Gegner der Hexenverfolgung und malte die Apotheose (Vergöttlichung, -klärung, -herrlichung), wie Gunnar Heinsohn und Otto Steiger in ihrem Buch über deren Vernichtung (Die Vernichtung der weisen Frauen – Hexenverfolgung, Kinderwelten, Bevölkerungswissenschaft, Menschenproduktion) 1985 schrieben, der weisen Frau, die als kundige und (auch sexuell) selbstbewusste Persönlichkeit „in Erinnerung gehalten werden soll.“ 

Und Marlene zeigt mir die kleine Hexe, die eine der Demonstrantinnen mit sich trägt. Will jetzt nicht allzuweit ausholen, aber als ziemlich alte Frauenrechtlerin weiß ich, dass der Holocaust an den Hexen „nicht nur ein Produkt geisteskranker Hysterie einzelner Staats- und Kirchenmänner“ war, sondern wie es der Soziologe Gunnar Heinsohn und der Wirtschaftswissenschaftler Otto Steiger beschrieben, als staatliche Bevölkerungspolitik gegen Geburtenkontrolle entwickelt worden, „aus exaktem politischen Kalkül“, um das alte Wissen der Frauen unter anderem über Geburtenkontrolle auszurotten. Zum Weiterlesen empfehle ich dringend Silvia Federici: Caliban und die Hexe, sowie zur Ermutigung mein neues „Lieblingsrezeptbuch“: Die Welt wieder verzaubern!

Mir helfen sehr die Schilder der jungen Feminist*innen:

Wird alles notiert: Wir sind die Töchter der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet!

Auf dem Rathausmarkt verwies frau uns zur Pekinger Aktionsplattform. Diesem feministischen Hinweis folge ich willig: Die 1995 von der Internationalen Frauenkonferenz in Peking erstellte Plattform hatte folgende immer noch toppaktuelle Aufgabe: die Machtgleichstellung der Frau. Ihr Ziel war es, „alle Hindernisse zu beseitigen, die der aktiven Teilhabe der Frau an allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens entgegenstehen, indem ihre volle und gleichberechtigte Mitwirkung an den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entscheidungsprozessen sichergestellt wird. Dies bedeutet, daß zu Hause, am Arbeitsplatz und im größeren Umfeld der staatlichen und der internationalen Gemeinschaft für Frauen wie Männer der Grundsatz geteilter Macht und geteilter Verantwortung gelten sollte. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann ist eine Frage der Menschenrechte und eine Vorbedingung für soziale Gerechtigkeit sowie zugleich eine notwendige Grundvoraussetzung für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden. Eine neue Partnerschaft auf der Grundlage der Ebenbürtigkeit von Frau und Mann ist Voraussetzung für eine bestandfähige Entwicklung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Ein nachhaltiges und langfristiges Engagement für diese Ziele ist unverzichtbar, damit Frauen und Männer für sich, für ihre Kinder und für die Gesellschaft gemeinsam darangehen können, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen.“ Dreißig Jahre später sind wir eher zurückgefallen, diese Auffassung teile ich mit Gleichaltrigen, die ich auf der Demo befragte. „I can ´t believe we still have to protest against this shit“. Dieses Schild trägt uns eine Jüngere voran, eine andere: „Nur noch 134 Jahre bis zur Gleichberechtigung“. 

Canzu Özdemir auf dem Außerordentlichen Parteitag der Linken im Januar 2025 in Berlin, Sandro Halank

Ans Mikrofon tritt an diesem 8.März auch Canzu Özdemir, bis zur Wahl war sie Vorsitzende der Hamburger Bürgerschaftsfraktion Die Linke, nun vertritt sie unter anderem die Rechte der Frauen im Bundestag. Die Linke ist nicht nur grüner als die Grünen – und nicht militärisch olivgrün -, sondern auch feministischer, deswegen war sie bei Bundestags- und Bürgerschaftswahl meine Alternative. „Wie viele wir heute sind!“, freut sich Özdemir am 8. März und kommt dann gleich zu schrecklicher Sache: 365 Femizide im Jahr. „Wo bleibt der Aufschrei?“ Als Femizid bezeichnet frau die Tötung von Frauen oder Mädchen als extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt, die im Kontext patriarchaler Geschlechterdifferenzen verübt wird. Um es einfacher zu schreiben, die 365 Tötungsdelikte an Frauen geschehen hauptsächlich im familiären, meist ehelichen sowie patriarchalen Umfeld. „Patriarchat tötet!“

Mord im Haus, 1890, der in Prag geborene Maler Jakub Schikaneder malte diese Geschichte eines Frauenmordes in den unteren Gesellschaftsschichten auf eine mehr als zwei Meter hohe und drei Meter breite Leinwand und stellte damit das Bild und sein Motiv von der Wichtigkeit her mit den Historienbildern gleich. Diese Werke werden allgemein aufgrund der ihnen unterstellten gesellschaftlichen Bedeutung großformatig ausgeführt.

Gedenkveranstaltung für eine getötete Frau in Hannover, 2024.

Das von Männern gewaltvoll dominierte System war auch auf dem Rathausmarkt Thema: „Kämpfe verbinden, Patriarchat überwinden!“ oder „My favorite Season is the fall of the patriarchy“. 

Und ich kann es einfach nicht fassen, oder nur aufgrund meiner intensiven Lektüre über von Staats- und Kirchenmännern dominierte staatliche Bevölkerungspolitik zumindest theoretisch verstehen: der Paragraph 218 ist immer noch nicht abgeschafft!!! Weiterhin wird Schwangerschaftsabbruch in diesem Land bestraft. Özdemir arbeitet jetzt in Berlin daran, das lässt mich hoffen. „Mein Bauch gehört mir“, das brülle ich nun nicht mehr, aber solidarisiere mich ausdrücklich mit allen, die kein Kind austragen wollen. Ich rege mich richtig auf aber: „Ich bin nicht hysterisch, ich habe einfach recht“, das war eine meiner Lieblingsparolen am 8.3.25. Das Wort Hysterie kommt vom griechischen Wort für Gebärmutter, und wurde früher patriarchal verunglimpfend für bestimmte neurologische Symptome bei Frauen benutzt.

Und ich will auch auf keinen Fall diese Mode zurück, auch nicht als Vintage-Wiedergängerin, Osnafotos

Und dann kommt´s am Frauentag: „Die 50er-Jahre haben angerufen, die wollen ihr Frauenbild auch nicht zurück“. Das war ja nicht nur äußerlich scheußlich, meine Mutter haben deutsche Gesetze der Wirtschaftswunderzeit, die Frauen im Heim und am Herd sah, in eine Hausfrauenehe gezwungen. Da wundert sich doch keine über neurologische Symptome – ich leide unter einer posttraumatischen Hausarbeitsverweigerung, weswegen mein Bleistift gerade auf einem Honigklecks kleben blieb. Aber vielleicht war das ja auch nur der gebärmuttergesteuerte Schreibwahn?

Marlene und ich reihen uns da ein, wo es am buntesten ist und laufen irgendwann in St. Pauli an der Fußballkneipe  Jolly Roger vorbei, die sich ausdrücklich mit unseren unter anderem sozialistischen Kämpfen solidarisiert. Ich schwöre ja auch auf die Macht der Piratinnen, mein inneres Idol heißt Maria von den Sieben Meeren und trägt unter ihrem blauen Mantel einen scharfen Säbel, und zeige daher jetzt mal Flagge:

Der Jolly Roger, Namensgeber der solidarischen Hamburger Fußnallkneipe, ist nämlich die Piratenflagge. Der hier abgebildete Jolly Roger im Schifffahrtsmuseum Åland, eine von zwei Piratenflaggen, die als echt gelten. Die Flagge ist etwa 200 Jahre alt und stammt von der nordafrikanischen Mittelmeerküste, wo es bis ins 19. Jahrhundert Piraterie gab. Dieses Bild wurde farbkorrigiert, um die Flagge so zu zeigen, wie sie ursprünglich aussah.

An der Feldstraße wird es später gemütlich und es wird uns beiden Radlerinnen und Fußgängerinnen deutlich, wie bezaubernd so eine autofreie Stadt wirkt.

Ich kehre zurück zum Rathausmarkt, schließlich steht dort mein E-Esel. Der muss noch eine Weile warten, denn nun ertönt von einer Bühne bei der Kleinen Alster und ihrer Schleuse der Ruf „Jin, Jiyan, Azadî“. Das ist ursprünglich ein Kampfruf der Frauen aus der Arbeiterpartei Kurdistans.

Wandmalerei in Wien: eine Kurdin mit dem Slogan Frau – Leben – Freiheit

Dann ertönt an diesem späten Nachmittag auf dem Rathausmarkt Musik und es tritt eine sehr junge Person auf, Turnschuhe trägt sie, einen kurzen Rock und ihre langen schwarzen Haare fliegen offen, und sie tanzt. Das allein ist schon umwerfend schön, noch packender wird es, als wir erfahren, dass sie aus dem Iran kommt, wo den Frauen unter anderem das Tanzen verboten ist. Mich packt Trauer und Mitgefühl, mir kommen die Tränen.

Und dann kommt doch nochmal ein Mann ins Spiel, aber nur, weil er so herzzerreißend singt.

Der 2003 verstorbene Sänger Viguen musste nach der islamistischen Revolution ins Exil gehen, weil Pop und Jazz im Iran nicht mehr erlaubt waren.

Wir intonieren „Jin Jiyan Azadi – Woman Life Freedom – Zen Zendegi Azadi“ und tanzen zusammen an diesem vielversprechenden Spätnachmittag auf dem Rathausmarkt.

FRAU – LEBEN – FREIHEIT!











Beitrag per Mail versenden