Der karierte Koffer

Der karierte Koffer fährt nach Fryslân, Teil 13

6. August 2024

picknicken Dienstag, den 6. – 15:22 – Sânemar/Nationaal Park De Alde Feanen

Diesmal starten wir früher und rüsten uns bei der VVV – Verening voor Vreemdelingenverkeer – aus. Vreemdelingen sind wir, Fremde, und werden toll behandelt. Kriegen genau die richtige Landkarte für unsere nächste Expedition. Der VVV residiert gleich neben dem Oldehove, so heißen Turm und das ursprünglich auf einer Warft errichtete Dorf (terpdorp).

De Oldehove, der schiefe und krumme Turm von Leeuwarden, und Ian, startklar für die nächste Fryslân-Expedition

Dieser Hügel ist mindestens seit dem 10. Jahrhundert besiedelt. Gut 600 Jahre später erhielt der Jacob van Aken, er kam aus Aachen, von Leeuwardens Statthalter den Auftrag, einen Turm zu bauen, der höher sein sollte als die Kirchtürme in Utrecht und Groningen. Der deutsche Baumeister hatte von Anfang an Probleme, denn der Turm begann schon während des Baues, im Sand der Warft zu versinken. Korrekturmaßnahmen führten dazu, dass er nicht nur schief, sondern auch ein wenig krumm wurde. Der Turm erreichte nie die geplante Höhe von 120 Metern, 1533 wurde der Bau beendet. Leeuwarden war damals Hauptstadt der Provinz Friesland und erlebte, wie es in den Reiseführern steht, ein goldenes Zeitalter, als dort der Hof von Friesland residierte.

Reiseführer bezeichnen es als golden, das Zeitalter, als in Leeuwarden der Hof von Friesland residierte und der oben abgebildete Turm errichtet wurde.

Die Friesen aber lehnten sich auf. Ihre Aufstände gegen die neue Herrschaft – nach 250 Jahren Selbstbestimmung – endeten erst mit dem Tod des Freiheitskämpfers, Rebellenführers und Piraten Wijerd Jelckama 1523. 

Vater des Freiheitskämpfers Wijerd Jelckama war Pier Gerlofs Donia, genannt Grote Pier, der gegen Holländer, Sachsen und Habsburger kämpfte, das Standbild stammt von Anne Woudwijk.

Als Albrecht von Sachsen Ende des 15. Jahrhunderts Friesland unterwarf, endete eine freie und unabhängige Zeit, die Periode der Republik der sieben Vereinigten friesischen Provinzen, der Friesischen Freiheit. Die Menschen zwischen Zuiderzee (heutiges IJsselmeer) und Weser waren in zahlreichen kleinen Landesgemeinden freiheitlich und häufig genossenschaftlich organisiert und im Gegensatz zum übrigen Europa konnte sich dort kein feudalistisches System etablieren. 

Der Upstalsboom, oben: älteste bekannte Ansicht von Conrad Bernhard Meyer, 1790; unten: „anno 1368“, historisierende Radierung aus dem 19. Jahrhundert

Das Wort Upstal ist flämisch-brabantischen Ursprungs und steht für ein eingezäuntes Flurstück, das die Dorfgemeinschaft als gemeinsames Weidegebiet, als Allmende, nutzt. Opstalboom oder Upstalsboom, wie es auf Niederländisch heißt, war ein Versammlungsort westlich von Aurich, in Ostfriesland. Dorthin kamen die Abgesandten der sieben Seelande, für die die 7 Seerosen – es sind keine Herzen, wie ich angenommen hatte! – und 7 blauen Streifen auf der friesischen Flagge stehen.

Die Zahl ist eher symbolisch zu betrachten, denn es gab im Mittelalter bis zu drei Dutzend selbstständige friesische Gemeinwesen zwischen der Zuiderzee (dem heutigen IJsselmeer) und der Weser, die Abgesandte zu den Treffen am Upstalsboom schickten. Die Versammlungen der autonomen Landesgemeinden regelten Zusammenleben und Außenvertretung. Mein Traum von einem Europa der egalitären Gemeinwesen und autonomen Regionen.

Die Friesischen Seelande um 1300

Ende des 15. Jahrhunderts wurde die fryske frijheid, die friesische Freiheit, durch Albrecht von Sachsen beendet. Der war wiederum durch Maximilian I. ermächtigt, damals römisch-deutscher König, später Kaiser im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und damit, so lautete die römische Propaganda, nach Gottes heiligem Willen universelles Oberhaupt der Christenheit, das über allen König*innen Europas stand. Das rebellische Flandern hatte sich gegen Maximilian I. aufgelehnt und die Bürger*innen von Brügge hatten ihn dortselbst gefangengenommen.Albrecht befreit Maximilian und erhält dafür die Erbstatthalterschaft für Friesland. Das musste er sich vor Amtsantritt mit Waffengewalt unterwerfen. Und damit begannen die feudalen Zeiten samt Turmbau und höfischem Pomp.

Die Friesche Vlag weht auch überm Pontje, vor dem sich die Regattaradler*innen friedlich und freiheitlich stauen. Gedrängelt wird nicht, hab ich in den vier Wochen Niederlande, egal ob Stadt, Land oder Fluss, kein einziges Mal erlebt, das ging erst in Ostfriesland wieder los.

Am Prinses-Margriet-Kanal entlang gelangen wir nach der Fährpassage, einmal links abbiegend, an ein Gewässer namens Sânemar. Diesmal sind wir genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Hatten die Skutsje zum Anfassen nahe. Und hatten wieder ein zauberhaftes Picknick, diesmal mit Hollandse haring (deutsch Matjes), Gouda – Letzterer hat nichts Romantisches an sich, der größte Teil stammt aus industrieller Produktion (und wird aus industriell produzierter Milch hergestellt). Weiß nicht, ob wir vielleicht Goudse boerenkas erwischt, handwerklich und traditionell auf dem Bauernhof hergestellt, er war extrem lecker. 

Hollandse haring, Tjaarke Hendrika Maria Maas

Eat at impossible places, da teilen Ian und ich ein Hobby.

Und dann konzentrierten wir uns voll und ganz von unserem Logenplatz hinterm Müllcontainer auf die Schönheit der Skûtsjes. Und verstanden voll und ganz, warum Chris uns so hierher gedrängt hatte. 


Kehren bei Aukje ein. Sie lädt Passant*innen in ihren wunderschönen Garten zu hausgemachtem Kuchen.

Ihr Mann Pieter hat im Alter von 15 begonnen, die Skutsje-wetstriden mitzusegeln und zehn Jahre lang teilgenommen. Er erzählt, dass die jüngsten dieser Boote von 1910 stammen, dass früher damit unter anderem Zuckerrüben transportiert wurden. Aukje erzählt, dass, nachdem ihre ersten Gäste „black tea“ bestellt hatten, und sie nicht wusste, was sie servieren sollte, erstmal ihre Englischkenntnisse aufpoliert hat, und führt mich durch ihren Garten.

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