5. August 2024
bade, Montag den 5. – 19:24 – Midden Fryslân/Nationaal Park De Alde Feanen/Earnewald –
zuvor überqueren wir einige der vielen und verzweigten Wasser dieser autofreien „prachtige waterijke landschap van Midden Fryslân“, auf Pontjes. Die Fries*innen stehen auf Verkleinerungen und Pontjes stehen für Veerponten, kleine Fähren. Sie werden von Freiwilligen betrieben und: „De Pontschippers wensen je veel fietsplezier!“ Pontschippers sind die freiwilligen Kapitäne, sie wünschen uns Fietsplezier, Radelvergnügen. Da müssen Ian und ich uns erstmal einarbeiten und einfädeln.
Wir laufen von unser aller Anker, dem Hotel ´t Anker in der binnenstad (Altststadt), stramm nach Süden, überqueren keine Wasserwege, aber den Schienenstrang – und bekommen an der Schrans, am Südostzipfel Leeuwardenss außerhalb der binnenstad, Elektro-Zweiräder. Nun müssen wir nach Wirdum, haben aber das geniale Nummernsystem der niederländischen Fahrradrouten noch nicht geschnallt und stehen hilflos vor den wegweisenden Pfosten. Das Land ist nämlich durchnummeriert für den Fietsverkehr. Wirdum im Nordosten von Leeuwarden hat die Nummer 3.
Von dort gurken wir, noch immer die Pfeile und Zahlen nicht verstehend, die eigentlich so praktisch sind, wie ich es als alte Tourenradlerin noch nie erlebt habe, ein wenig südwärts vom Kurs ab zur Nummer 1, von der nun aber unser nächstes Etappenziel, Wergea, mit der Nummer 97 angezeigt wird. Wie ihr lest, verzichten wir, weil Umwege die Kenntnisse erhöhen, auf digitale Navigation.
Eigentlich wollten wir das Skutsjesilen von einem Ort namens De Veenhop sehen, das hatte Chris „angeordnet“. Aber wir übertrafen einander in Langsamkeit auf dem Rad, weil jede/r dachte, der/die andere käme nicht hinterher, so verpassten wir den Wettbewerb auf dem Wasser.
Nach Wergea gelangten wir durch diese platte Kulturlandschaft, wo nichts weit weg ist, wie Einheimische sagen, wo ab und zu ein Tanker oder Segler hinterm schwarzbunten friesischen Nationaltier hervorlugt.
Wergea ist ein auf einer künstlich angelegten Warft (niederländisch terp) errichtetes Dorf aus dem frühen Mittelalter. In dieser Gegend bildeten sich bereits vor 3500 Jahren Torfmoore. Dann wurde das Ganze vom Meer überflutet und es kam Schlick hinzu, insgesamt entstanden sehr fruchtbare Böden. Auf denen wurden im 3. Jahrhundert vor Christus die ersten Warften errichtet. Bei der Bezeichnung Warft für solche aus Erde aufgeschütteten Siedlungshügel, die Menschen und Tiere bei Sturmflut schützen, denken manche ans Werfen. Falsch gefolgert, wir sind eher beim englischen -worth für jede Art von Hofstätte. Und bei der Werft, dem ebenfalls von Menschenhand erhöhten Platz für den Schiffbau. Wergeas Warft lag mitten zwischen Wargaster-, Jornia- und Hempensermeer und entwickelte sich aufgrund dieser guten Wasseranbindung zum regionalen Zentrum für Schiffahrt und Handel. Zu dieser Zeit wurde eine Reihe kleiner Wohnhäuser für arme Witwen errichtet.

Wergea ist auch nach allgemeiner Einpolderung rundherum immer noch nah am Wasser gebaut, wie das Foto der Ende des 19. Jahrhunderts wiederaufgebauten Witwenhäuschen zeigt. A. J. van der Wal 1967, Rijksdienst voor het cultureel Erfgoed
Nun haben wir den Bogen raus und steuern von der Nummer 96 in Wergea die Nummer 32 in Warten an.
Beim Wasserweg Wartenser Wiid, irgendwo zwischen Wergea und Warten haben wir königlich gepicknickt mit Gurken und Tomaten von der Straße, frysisk woarst.
Dieses Terpendorf, das nun in einem Polder liegt, ist schon seit 1000 Jahren bewohnt. Dort steht das letzte erhaltene „Friese langhuis“:

In Warten steht das letzte erhaltene friesische Langhaus, ein gemeinschaftlich genutztes Wohnstallhaus: 1 = Wohnhaus, 2 = Lager, Küche und Milchraum, 3 = Stall für bis zu 50 Kühe. Die Zeichnung oben fertigte Joost Hiddes Halbertsma ca. 1850 an.

Das Foto vom Stall des Langhauses in Warten entstand 1967, Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed
Und wir kommen kurz hinter Warten ohne Fähre nicht weiter. Eigentlich wollten wir ja Regatta gucken, das schminken wir uns entspannt ab und driften ein Stück auf dem Prinses-Margriet-Kanal hinein in DE ALDE FEANEN.

DE ALDE FEANEN ist ein niederländischer Nationalpark inmitten von Friesland (Midden Fryslân).
Aus dem Westfriesischen übersetzt heißt dieser Nationalpark das alte Fenn. Bei der germanistischen Deutung von Fenn halte ich mich als Feministin erstmal an Agathe Lasch, Jahrgang 1879, erste Professorin der Universität Hamburg und erste Professorin des Faches Germanistik in Deutschland: mit Gras oder Röhricht bewachsenes Sumpf-, Moorland, sumpfiges Weideland.

Agathe Lasch, Jahrgang 1879, erste Professorin der Universität Hamburg und erste Professorin des Faches Germanistik in Deutschland, befasste sich auch mit Flurnamen wie Fenn.
Na gut, wir lassen auch ihren Kollegen zu Wort kommen. Für den Germanisten Herrmann Teuchert ist ein Fenn ein versumpfter oder vertorfter Binnensee oder Teich ohne festen Boden. Das hätten wir. Nun zu den 4000 Hektar Nationalpark in Frieslands sumpfiger Mitte, durch die sich ein breites Band aus ehemaligen Torfabbaugebieten zieht, von Stavoren bis Dokkum, genannt Frieslands Lage Midden.

Der niederländische Nationalpark ist ein durch Torfabbau entstandenes Sumpfland aus Mooren, Heide, Seen und Sumpfwäldern, Jan Willem van Aalst
Unser Feanen beziehungsweise Fenn (Venn, Fehn, Vehn oder Feen, niederdeutsch Vien, Vänne, Väänne) besteht aus Niedermooren, Heidegebieten, offenen Wasserflächen, Schwingrasen und Sumpfwäldern. Da lacht schon beim Schreiben das Ökologinnenherz. Es gibt dort 450 Pflanzenarten, darunter diverse Seggen und Orchideen. Biologisch besonders interessant ist der Schwingrasen als Zwischenstadium der Verlandung und die blauwgraslanden auf denen der Rundblättrige Sonnentau, Preiselbeeren und Gagelstrauch gedeihen.

Ein Schwingrasen ist eine Decke aus ausläuferbildenden und anderen Pflanzen und Moosen, die auf ein Gewässer hinauswachsen. Unterhalb der Pflanzendecke auf der Wasseroberfläche bildet sich Torf, der langsam nach unten sinkt und nach und nach das Gewässer auffüllt.
Typische Pflanzengesellschaften im Schwingrasen sind Torfmoos, Wollgras, Sonnentau und Moosbeere.

Aus: Die Hundert Deutschen Wilden Holz-Arten
Die Pflanze Drosera rotundifolia hat ihren wissenschaftlichen „Vornamen“ vom griechischen Wort droseros, es bedeutet taubedeckt. Rotundifolia deutet auf runde Blätter hin – und siehe da: an den runden Blättern des Rundblättrigen Sonnentaus glitzern in der Sonne scheinbar Tautropfen. Tatsächlich sind dies die Tentakel mit Drüsen, aus denen der Sonnentau ein nach Honig duftendes Sekret absondert. Insekten werden dadurch angelockt, bleiben kleben und werden bis auf Reste ihres Chitinpanzers verdaut, von dieser fleischfressenden Pflanze der Moore und Grabenränder.

Rundblättriger Sonnentau, wie ihn Hieronymus Bock 1546 darstellte
Im Röhricht hat hier die bedrohte Nordische Wühlmaus überlebt, weitere Rote-Liste-Arten im Alde Feanen sind Baummarder, Wasserspitzmaus und Braunes Langohr.

Die Fledermaus Plecotus auritus, Braunes Langohr
Auch Rohrdommel, Trauer- und Flussseeschwalbe brüten hier. Wobei die Trauerseeschwalbe, wie ich aus den Hamburger Marschlanden weiß, ganz besondere Ansprüche an ihr schwimmendes Nest stellt, am liebsten legt sie es auf Pflanzen namens Krebsschere an.

In Deutschland gibt es nur noch gut 700 Brutpaare der Trauerseeschwalbe. In den Hamburger Marschlanden beispielsweise brach der Bestand ein durch die Vernichtung der sogenannten Krebsscherengräben, üppig mit Wasserpflanzen bewachsenen Entwässerungsgräben, viele mussten Kraftfutteranbau für die hiesige „Sloop-Melk-Wirtschaft“, wie sie in den Niederlanden angeprangert wird, die maximale Ausbeutung der Milchkuh, weichen.

Ein Paradies für Stratoites aloides, die Krebsschere, und auch ideales Brutgebiet für die Trauerseeschwalbe: ein durch einen früheren Deichbruch entstandenes Brack an der Elbe, Christian Fischer
Wir haben unterwegs jede Menge Fiets- und Pontjes-Plezier. Ian blickt achteraus vom Pont, von der Fähre Schalkediep, die uns und die Räder ein Stück auf dem Prinses-Margriet-Kanal befördert, auf Friesche Vlag, die friesische Flagge mit den vielen Herzen, und die langen Binnenschiffe auf dem Kanal.

Und ich habe an jenem Tag nacheinander und durcheinander Fahrrad-, Fähren- und Badepläsier.

Und erfreue mich natürlich auch sehr an der Pflanzenwelt, auch wenn die Schwingrasen und Trauerseeschwalbenparadiese außerhalb unserer Reichweite liegen.

Diesen Ortsnamen kriegte ich nie für Einheimische verständlich ausgesprochen. Im Nachhinein lese ich, dass die ersten Einwohner, Schiffer, Fischer, Schilfschneider, Bauern, es mit dem Namen ihres Dorfes nicht so genau nahmen: Eerndwand hieß es 1471, Erendswolde 1573, Eerenwolde 1664, Erenwael 1779. Im 19. Jahrhundert nannten sie es auch mal Arendswond. Heute heißt der Ort friesisch und offiziell Earnewâld und ansonsten nebenbei und niederländisch Eernewoude. Und ist routinemäßig die dritte Etappe des jährlichen zeilwetstrijd (der Segelregatten) der ehemaligen nun anders aufgetakelten Frachtschiffe. Die erste, in Grou, hatte ich ja in allererster Reihe mitbekommen zwei Tage zuvor. Und diese sollte uns nun entgehen, kamen zu spät, hatten aber unser Pläsier im menschenleeren Dorf, wo alle sich am Gewässer It Wiid befanden, und sich die Einwohner von Earnewâld gewünscht hatten, dass ihr Skutsje, das mit dem E im weißen Großsegel, die 13 anderen aus dem Rennen schlagen würde.

Zur Abwechslung mal Eissport: Auch die berühmte ELFSTEDENTOCHT führt hier vorbei, Skulptur von Hans Jonta, Romke Hoekstra

Zwar hat das skûtsje-Museum an diesem Tag geschlossen, aber Ian ist dennoch voll in seinem Element zwischen den alten Wasserfahrzeugen.

Mir gefällts auch, erspähe unter Spitzengardinen ein Schiffsmodell mit Seitenschwertern, wie sie Plattbodenschiffe, die bei niedrigem Wasser gefahrlos aufsetzen und abwarten können, mangels Kiel brauchen, damit sie nicht vom Wind seitwärts getrieben werden.

Drinnen in der Werkstatt steht eine schöne kleine Tjalk – glaube ich:)
Der Badestrand ist überhaupt nicht leicht zu finden, aber dann bade ich ausführlich im moorigen Wasser.

Wir wollen partout nochmal Pontje fahren und steigen auf die Fähre Hin on Wer, sie bringt uns ans andere Ufer von It Wiid.

Hin on Wer heißt die Fähre (Pont) in Earnewâld.
Dort erfahren wir, dass dies weit und breit das letzte Pontje sei, wir wären also im Feanen ausgesetzt gewesen. Der Schipper nimmt uns mit, wieder zurück.

Radeln westwärts gen Leeuwarden und Sonnenuntergang. Alles prima beschildert, volles fietsplezier!

