2. August 2024
nasche Freitag, den 2. – 16:33 – Niewesteeg 5/Grutterswinkel/Leeuwarden –
und nasche nicht im DOWNTOWN, gleich um die Ecke vom Eewal. „Bei ihr würde ich alles kaufen“, schreibe ich gegen halb elf. Es begann damit, dass ich die Tür vom koffieshop – in dem ich dann wirklich von nichts naschte, sondern koffie trank – nicht aufbekam. „The door is opening only for strong people“, darauf einigten wir uns.
Wiet 3.30; Hasj 3.30; Mix 3.70; Haze 4,-; das sind die Preise für Joints.
Für koffieshops, geduldete Verkaufsstellen für weiche Drogen wie die Cannabisprodukte Hasj (Haschisch, aus den weiblichen Blütenständen gewonnenes Harz, auch shit genannt) und Wiet (Marihuana, auch weed, pot oder grass genannt, die getrockneten weiblichen Blüten), gelten, trotz aller Lockerheit in den Niederlanden, auch dort klare Regeln: Sie dürfen nicht werben, keine harten Drogen verkaufen, weder Nachbarn noch Passanten belästigen, nicht an Jugendliche verkaufen und auch keine großen Mengen in den Handel bringen, ein Maximalbestand von 500 Gramm und der Verkauf von fünf Gramm Cannabisprodukt pro Person pro Tag sind erlaubt. Rhodis hat das im Griff.
Auch der Kaffee ist gut und günstig an diesem Ort zum Sein und seinlassen – und zum Schreiben auf dem Tresen. Kriege Niederländisch-Unterricht rübergereicht, wenn nicht gerade ein Kunde die Tür aufstößt – bin wohl in die Hauptgeschäftszeit geraten -: alstublieft heißt bitte. Hoe heet jy/u? Nach seinem Namen soll ich keinen fragen, weder per Du noch per Sie, ich sei doch nicht von der Polizei! Für meinen bevorstehenden Gang zum Wochenmarkt empfiehlt Rhodis: „mag ik – hier Name der gewünschten Ware einsetzen – alstublieft?“

In Rhodis koffieshop DOWNTOWN mache ich keine Fotos, aber so ungefähr sah es nach meiner ersten erfolgreichen Ernte in einem Hamburger Villenvorort aus: wir trockneten die Blüten von weiblichen Pflanzen der Gattung Cannabis aus der Familie der Hanfgewächse, die, von der Straße nicht sichtbar, an der sonnigen Südseite unseres WG-Hauses brusthoch gewachsen waren: Binnlandse wiet (siehe unten). by Cannabis Training University
Und als sie etwas Grünes, Duftendes über den Tresen reicht, erzähle ich meinem Nachbarn, ohne ihn nach seinem Namen zu fragen oder ihm meinen zu verraten, von meinen Erfahrungen beim in Deutschland damals streng verbotenen Dealen. Dabei nützte mir das Hamburger Höhere-Töchter-Outfit aus Jacket, weißer Bluse und kariertem Faltenrock, was mich vom Äußeren her außerhalb der Hippie-Sphäre katapultierte, und ein eher kindliches, aber betont vornehm-arrogantes Auftreten.
So stand ich vorm Madhouse, einem räudigen „Rockschuppen“, wie Jan Freitag 2016, das war 16 Jahre nach der allseitig bedauerten Schließung von Hamburgs „dienstältester Disco“, schreibt. Vorher hatte dieser Bungalow mit langem schwarzem Eingangstunnel – auf meiner Zeichnung verbirgt der finstere Gang sich hinter dem rot-weißen Tor rechts – das ganze Jahr abendlich geöffnet und beförderte unter anderem, wie Freitag schrieb, Hamburgs analogen „Ruf in Sachen Abendgestaltung“.

Ans Innere erinnere ich mich nur dunkel, war in meinen Zehnerjahren weniger mit Design als mit Dasein befasst. Nach dem Durchschreiten oder -schleichen (war eindeutig zu jung für die Diskothek) des dunklen Ganges sahen wir erstmal schwarz, abgesehen von einer halben Auto-Karosserie und silbrig glänzenden sehr voluminösen Belüftungsrohren: schwarze enorm kräftige Boxen unter der schwarzen Decke, rockende Leute in dunkler Bekleidung im Dunkeln auf der relativ kleinen Tanzfläche, die es nun zu erobern galt. Denn es ging in Hamburg wie schon zu Zeiten der Beatles (den Tourist*innen, die das Beatlesmuseum auf der Reeperbahn besuchen, erzählt wahrscheinlich niemand, wie wahnsinnig wichtig bezahlbare Clubs u.a., die nicht der gewinngetriggerten Abrissbirne weichen müssen, fürs internationale Musikgeschehen – genau: da steht -geschehen und nicht -geschäft – sind) um, in meiner persönlichen Reihenfolge, Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug, und wenn sie aus Boxen dröhnten, und ums Tanzen.
Vor oben genannter Einrichtung, wo der von mir verehrte Sänger Meat Loaf mal aus lauter Dankbarkeit Gläser gespült haben und Mick Jagger mangels gezahlter Zeche rausgeworfen worden sein soll, stand ich. Mit meiner Platte grünem, duftendem Cannabisprodukt unterm feinen Blazer. Bis es sich im dunklen Tunnel rumsprach, dass meine Freunde die Ware bei mir gebunkert hatten – und ich mich ganz unauffällig Richtung Gänsemarkt davonmachte, zur Straßenbahn.
Zwischendurch erfahre ich den Namen meines Tresennachbars, der in Leeuwarden aufgewachsen ist und mir unter Rhodis ´ enormer Auswahl das binnenlandse wiet (einheimisches Grass) namens White Widow empfiehlt. Er heißt Fokke. Und als ich ihm von meinen sehr frühen Ausbrüchen aus dem Haus der Eltern, das mir weder ein gutes noch ein sicheres war, berichte, die ich unter anderem mit Meditation, aber auch mit guten Joints überlebt habe – und mit früh gereifter überlebenswichtiger Menschenkenntnis -, erzählt er mir von seiner Frau, die mit elf Jahren ohne Erziehungsbefähigte auf der Straße stand, und ebenfalls quasi mit einem Augenblick jeden Menschen einschätzen kann.

Nomadischer Berber in Marokko, am blauen Schleier als Tuareg zu erkennen -wir sangen doch tatsächlich am äußersten Westrand der Sahara, an der marokkanischen Atlantikküste in einem Zelt für unsere Gastgeber, die uns auf Trommeln begleiteten, Anfang der 1970er „Wir lagen vor Madagaskar“, aber nur, weil meine Reisebegleiter kein anderes deutsches Lied beherrschten. Christopher Michel
Da fällt mir ein, wie blitzschnell ich zu unserem Händler in Marocco Vertrauen fasste. Wir hatten keine gemeinsame Sprache, er reichte mir die getrockneten Blütenstände in einer Purpfeife, die ich bis heute hüte.
Rhodis führt Marokkaane Hasj Marke Ketama Gold. Ketama nennen seine Bewohner, fast ausschließlich berberischer Abstammung, Issaguen. Die Kleinstadt liegt im Norden von Marokko im Rif-Gebirge, wo seit alters her auf Klein- und Kleinstflächen Cannabis angebaut wird. Für den Handel mit Europa wird es aus logistischen Gründen häufig zu Haschisch verarbeitet. Wir sagten damals Shit dazu, voller Verehrung. Vom berberischen Dealer unseres Vertrauens bekamen wir an der Atlantikküste der Westsahara – beinahe völlig flach, mit vereinzelten Sanddünen, genannt Erg, Dünenmeer, – Grass (Marihuana, getrocknete Blüten und blütennahe, harzhaltige Blätter), das beste, das ich je geraucht habe.

Verbreitungsgebiet der Phoenicopteridae (Flamingos)
Sah Flamingos und Mosaiken. Meine Reisegefährten, denen ich bei der Einreise nach Marocco mit einer stumpfen Schere die Hippiematte abschneiden musste – „letting my freak flag fly“… das traf sie schwer – machten sich hernach über mich schwer Bekiffte lustig und behaupteten, in Casablanca und Umgebung gebe es weder Mosaiken noch Flamingos. Deswegen füge ich hier ganz nüchtern, denn ich würde zwar bei Rhodis alles kaufen, habe aber meine Purpfeife aus Marokko nicht dabei:), mal das Verbreitungsgebiet der Flamingos ein … und ein Tor aus Casablanca.

Mosaiken in Casablanca, Helmut Seger
Die unten abgebildeten Vögel gehören zu den Phoenicopteridae. Ihr Gefieder ist durch die Carotinoide, die sie aus winzigen Wasserorganismen „verstoffwechseln“ rosa gefärbt. Sie leben vorzugsweise an salzhaltigen Seen, aus denen sie mit ihrem gebogenen Seihschnabel Insekten, Würmer, Schnecken, Laich und Pflanzenteile sieben. Aber sie kommen auch an den Meeresbuchten der Westsahara vor!
Bete seit mir an einem ansonsten auf Kilometer völlig Strand südlich von Casablanca eine Schar Flamingos erschienen ist, diese langhalsigen und -beinigen Tiere an.

Seihschnabel von Phoenicoterus roseus, Matthias Kabel
Sitze noch immer in Rhodis ´ Laden. Beobachte eine große Lieferung. Ihre Mitarbeiterin trägt Joint für Joint, Tütchen für Tütchen in eine Liste. Zum einheimischen Grass gehören neben der von Fokke bevorzugten Weißen Witwe die schwarzen Herren, Black Herrer, Blue Cookie und Amnesia Haze; zum Buitenwiet, imported weed, wie Englischsprachige es nennen würden (daraus entstand das niederländische wiet) gehören Buiten groen und Jamaica; hinter der Rubrik Oosterse hasj verbergen sich die Sorten Nepal und Kabul; das Overige hasj kommt u.a. aus dem Libanon und zu den Edibles gehören Cupcake, Bonbon und Truffles.

In Amsterdams ansonsten recht bürgerlichen Viertel Weesperzijde, am Ostufer der Amstel, entstand 1972 in einer besetzten Bäckerei der erste Coffeeshop/koffieshop der Welt. by Spider
Ich drifte, ohne den wiet-haltigen Leckereien zuzusprechen (auch wenn meine diesbezüglichen Blechkuchen und Bratäpfel uns durchaus beflügelt haben ;), zu unserer Rückkehr aus Marocco. Wie geplant und gewünscht, führte uns der Weg über Amsterdam. Das war ziemlich genau 1972. Da hatten die Niederländer Cannabis schon entkriminalisiert – und ich hatte als Tochter eines Alkoholikers und einer Raucherin bereits begriffen, dass es weitaus Schlimmeres gab – und in Amsterdam hatte der weltweit erste cannabis coffeeshop eröffnet, das Mellow Yellow, benannt nach einem Lied des schottischen Liedermachers Donovan, der demnach versucht hat, sich mit dem Rauchen von Bananenschale anzutörnen. Hippie Wernard Bruining und seine Freunde hatten im ansonsten recht bürgerlichen Viertel Weesperzijde, am Ostufer der Amstel, eine frühere Bäckerei besetzt. Inspiriert durch die Cannabis-Cafés in den USA der 1920er und 1930er nannten sie ihr Etablissement, wo die Kunden Haschisch und Marihuana konsumieren durften, Tee-Salon. Daraus wurde der erste Coffeeshop/koffieshop der Welt
Wir wurden, aus Marokko kommend, geflöht. Bei mir fanden sie nur Henna, zum Haarefärben. Der zum Schnüffeln ausgebildete Hund „winkte ab“.

Hennastrauch (Lawsonia inermis)
Schließlich mache ich mich, begleitet von lauter guten Wünschen, auf den Weg zum Markt; gehe aber nicht direkt dorthin. Rhodis bei mir nun weltberühmter koffieshop liegt an einer seitwärts etwas abschüssigen und vom Eewal mit einem leichten Südosttörn an dessen Nordostende abzweigenden Platz namens Wortelhaven, was mich auf die Idee bringt, dass dies mal eine Pier an der Middelzee war, einem Seitenarm des Wattenmeeres. Diese Meeresbucht, an der etwa im 8. Jahrhundert Friesen die erste örtliche Terp, so etwas wird bei unseren Ostfriesen Warft genannt, nämlich Oldehove, aufschütteten. Das ist die, in der der überdimensionierte katholische Kirchturm effektvoll versank, aber das war später, nachdem die Friesen von Albrecht von Sachsen unterworfen worden waren und man ihnen, nach zunächst erfolgloser Mission im 7. Jahrhundert, dann doch eine katholische Herrschaft aufgedrückt hatte … (diese unterdrückerische Kombination kommt auch im Lied „Hauptmann von Tondern“ vor, siehe Der karierte Koffer fährt nach Fryslân, Teil 2). Bis die Middelzee im 13. Jahrhundert zunehmend verschlickte unterhielten die dort Ansässigen Handelsverbindungen unter anderem nach Lübeck. Davon kommt wohl das exquisite historisch-friesische Gebäck mit Marzipanfüllung, gevulde koek. Hatte mich schon nach dem mehrmaligen Genuss gefragt, wie die Mandeln wohl einst hierher gelangt sind. Vielleicht kamen sie per Kogge vom Mittelmeer über einen Speicher in Lübeck zur Middelzee.

Aber wir wollen ja erstmal nicht naschen, sondern zum Markt. Dazu muss ich rechts einbiegen in den Voorstreek. Und finde einen Shop voll nach meinem Geschmack – bin bekennende Anhängerin der Parole: Lieber schlampig glücklich als ordentlich gestresst, denn nicht jede Ordnung finde ich schön, sinnvoll oder gar liebenswürdig.

Schwenke nochmal schräg links in den Berlikumer markt, wo mich zwei Icons aus unterschiedlichen Jahrhunderten anlächeln. Ich lächle auch schon die ganze Zeit ein wenig, bin halt angetörnt von diesem Städtchen. Und ich hab mich schon wieder verirrt, kehre um und gerate in diesen ganz schmalen Stieg, hinter dessen Ausgang der Tower von Leeuwarden in ganz andere Dimensionen zielt.

Im Oude Lombardsteeg ändert sich etwas, wie immer dort, wo Menschen sich auf Augenhöhe zu Fuß begegnen – will jetzt nicht mit meiner Wanderung unter ausschließlich Fußgänger*innen durch nepalesische Dörfer anfangen, das führt wirklich zu weit, wenn auch zu Fuß. Vor dem Bioladen in diesem Stieg steht an diesem heißen Tag, kostenlos angeboten, eiskaltes Zitronenwasser. Seine Betreiberin lässt mich ohne Weiteres über eine ganz steile Stiege mit Kopfeinziehen ins Obergeschoss zur Toilette klettern. Hole mir Müsli – als alte Müslifresserin, wir wurden damals hat belächelt:) – mit ganz vielen Zutaten, bestes Kraftfutter fürs Flanieren und so. Auf dem Markt zieht es mich zunächst zum Käse. Bekomme Oud Zwart, alten Schwarzen, innen drin lange gereift (oud = alt), außen mit schwarzer Hülle. Diesen mindestens ein Jahr gereiften Gouda brösle ich in den folgenden Tagen nur so weg, und teile ihn mit meinen neuen Bekannten.

Die nächste dieser wunderbaren, kurzfristigen Begleiter*innen treffe ich am Gemüsestand. Dort thront stehend Aukje, hochgewachsen, weißhaarig, mit durchblickenden Augen, die sich nichts mehr vormachen lassen. Sie war mit ihrem Bio-Gemüsestand 1997 Pionierin hier im Land der „Wassertomaten“, wie wir über die inhaltsleeren holländischen Treibhausfrüchte zu lästern pflegten, die zum Beispiel in Hamburg statt der superleckeren regionalen Ware aus den Marschlanden an der Elbe den Markt fluteten. Inzwischen hat sie ihn weitergegeben und arbeitet dort nur noch einige Stunden in der Woche, sagt ich soll zum Schichtende vorbeikommen.
Also lasse ich mich mit meinem irre leckeren Gemüse mitten auf dem Marktplatz nieder und bereite mir einen Salat. Von der Käsefrau hatte ich noch Senf-Dillsauce, von Aukjes Bruder am Nachbarstand Walnussöl, und schon kickten mich die nährenden Stoffe und leckeren Aromen. Hatte etwas zu viele Pommes an den Vortagen. Mir gegenüber nimmt Marja Platz, sie kocht genauso gerne wie ich und verrät mir ihr Rezept für die hiesige Spezialität Mostard soep (Senfsuppe). Sie kocht dazu Hühnerbrühe und gibt Senf, Pfeffer und Salz dazu, macht eine Mehlschwitze, rührt etwas Brühe hinein und gibt sie dann in den Topf mit der Hühnerbrühe, würzt mit Petersilie.
Bedankt!
Auch Aukje bin ich dankbar. „geitewollenzokkentypen“ schreibt sie mir in mein kleines schwarzes Notizbuch. Ziegenwollsockentypen wurden die Anhänger des biologischen Landbaus und anderer zuukunftstauglicher Alternativen zum leeren „Immer-mehr“ in den Niederlanden verächtlich genannt, und wir gucken, nachdem sie mit der Arbeit fertig ist, wir auf hochkant gestellten Gemüsekisten an der Seite des Standes hocken, uns über die Arbeit auf Wochenmärkten – war selbst einige Jahre enthusiastische Marktfrau – austauschen, lachend meine Wollsocken an:

Reisesocken, nicht aus Ziegenwolle gestrickt von Mary Lorusso (www.friseur-altona.de); sie haben mittlerweile Ameland erreicht.
Dann führt mich Aukje zum tresoar, archief, museum en bibliothek Fryslân (tresoar.nl). Auf der Toilette dort entdecke ich ein Gedicht am Spiegel, von der friesischen Dichterin Elske Kampen, einer Beinahe-Altersgenossin, Jahrgang 1955. Sie wohnt in Gytsjerk, das ist der Ort, in dem ich ein wenig später ein paar Tage wohnen würde, aber das wusste ich an jenem Freitag noch nicht. Es handelt von einer Busfahrt nach Ryptsjerk, das ist der Ort, wo Aukje wohnt. Eine Single ist im Dunklen unterwegs, sieht im Vorbeifahren in jedem Haus ein Eltern- und ein Kinderpaar – und dann sich, wie sich ihr Gesicht in der Fensterscheibe spiegelt. Sie sitzt im Arrivabus. Das britische Verkehrsunternehmen befördert Niederländer*innen und Passagiere in neun weiteren europäischen Ländern und ist in Friesland quasi das Synonym fürs Busfahren. tsjuster heißt düster. Sie hört Child in time. Und sieht die Wolken sich „purple deep“ färben. Erblickt in den Häusern je vier Stühle um eine Tafel, klassische Kleinfamilien unter der Lampe. „Suche die Spiegelung deines Gesichtes. Werde dir bewusst, was du bist.“ Das spiegelt mich Alleinreisende wieder.

Wir gehen in die Ausstellung über Piter Jelles Troelstra, 1860 in Leeuwarden geboren. „Ich ging aus der Masse der namenlosen Arbeiter hervor, die täglich für ihr Brot arbeiten“, sagte er über sich, und arbeitete als Politiker, Dichter, Anwalt. Vor allem sei er ein Seher gewesen, sagt Aukje. Und „Anschluss gefunden“ bei den Fries*innen habe er durch seine Dichtkunst: „Noch lebt die alte friesische Sprache auf 1000 friesischen Zungen; in ihr hat mancher Friese von allem was gut und wahr ist gesungen“, hat er geschrieben, und Aukje erzählt mir von einem Austausch in ihrer Jugend mit gleichaltrigen Fries*innen von Amrum und Föhr. Das wären keine Nazis gewesen, sagt sie, weil ich ihr vorher davon berichtet habe, wie viele alte Nazis im Nachkriegsdeutschland in neuem Gewand einfach weitermachten wie vorher.

Piter Jelles Troelstra war Gründer der niederländischen Sociaal Democratische Arbeiders Party, Monarchiegegner, und hoffte 1918 auf die Revolution in den Niederlanden.
Aukje erzählt mir im kaum beleuchteten lauschigen Ausstellungsraum, wo wir Platz genommen haben, von ihrer Freundin aus dem Wendland nicht weit von Hamburg, deren Eltern Vertriebene waren, ich erzähle von den verzweigten „Kriegswegen“ meiner Familie.

Das Bild unten zeigt Troelstra bei einer Redaktionssitzung von Het Volk 1900 (der dritte Redakteur von links).

Auf dem Weg nach draußen entdecke ich das „historische Reisebüro“:

Ein Bild aus Grou/Grouw, dem Ort zu dem ich am kommenden Tag in Sachen Segelregatta fahren würde, aus dem Jahr 1962; John van Dijk schreibt dazu, sein Großvater habe ihm von diesen traditionellen Schiffen zu Hause in Friesland erzählt, den skûtsjes, und er würde sehr gerne mal so ein Boot segeln.
Bin zwar schon abgefüllt mit Eindrücken, aber am De Grutterswinkel im Niewesteeg komme ich nicht vorbei. Steige wieder auf einer schmalen, steilen Holzstreppe ins Obergeschoss, wo es um eines meiner Lieblingsthemen geht: Gute Geschäfte in kleinen Geschäften, vor allem Lebensmittelgeschäften (mit den Lebensmitteln und dem zugehörigen Einzelhandel verbindet mich mein Berufsleben seit mehr als 50 Jahren, siehe auch meine Website: Kleine Läden in der Großen Bergstraße).

Museum De Grutterswinkel (Der Lebensmittelladen) in Leeuwarden
In diesem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert befand sich vorher „de vivo-winkel van de dames Feenstra“, so steht es auf dem Info-Blatt. ViVo steht für die 1942 gegründete Vrijwillige Inkoop- en Verkoop Organisatie, ein freiwilliger Zusammenschluss der winkel, so das niederländische Wort für Laden, zu einer Ein- und Verkaufskette; die Damen Feenstra standen hinter der Theke. Die Ausstellung zeigt die Entwicklung vom kleinen Lebensmittelladen (kruidinier oder grutter) zum Supermarkt – und was dabei so alles auf der Strecke blieb.

Studiere, weil ich mich gerade mit dem Fair Winds Collective und dem Transport von Kaffee, Kakao, Tee unter Segeln befasse, besonders diese Warengruppe …

Kriege leckere Lakritzen und Schokobonbons per Unze in Papiertüten gefüllt, wie in meiner Kindheit, als Süßigkeiten zunächst etwas Außerirdisches waren, dann seltene Einzelstücke. Und so kommt es dann doch zum exzessiven Naschen am Ende dieses lekkeren Tages. Lekker steht im Niederländischen für alles Schöne, egal welchen Sinn es erfreut. Wad mooin! könnte ich noch hinzufügen: Wie schön.