27. Juli 2024
picknicken Samstag, den 27. – 17:10 – nördliche Mole/Hafen/Stavoren –
aber mittags lassen wir es uns erstmal gleich um die Ecke der Hafeneinfahrt gut gehen. Dort entgeht einer nichts, wenn sie nicht gerade platt auf dem Bauch im warmen Sand liegt.

Hafeneinfahrt am frühen Samstag-Nachmittag, die ersten Traditionsschiffe der nun touristisch genutzten „bruine zeilvlott“, der braunen Seglerflotte, laufen ein.
Hier läuft gerade ein Paradeschiff der „bruine zeilvloot“ aus „prachtige klippers, tjalken, aken“ ein, von denen auf der Informationstafel im Hafen zu lesen ist. Nachdem die Zufahrt zu Frieslands ältester Stadt, die auf einer vorspringenden Landzunge einstmals für die Schifffahrt extrem günstig gelegen war, zu Zeiten der Vrouwe van Stavoren zunehmend versandete und für große Hansekoggen nicht mehr zu passieren war, gab die Kontinentalsperre genannte Wirtschaftsblockade gegen England ihrer Schifffahrt und ihrem Reichtum den Rest.

Nun hat sich die örtliche Wirtschaft wieder erholt, u.a. dank der „braunen Segelflotte“, die Gäste befördert, u.a. mit ihren prächtigen Klippern. Hatten wir schon, es sind Fracht-Segler, die ihre Geschwindigkeit ihrem messerscharf geschnittenen Bug (to clip = schneiden) und den besonders hohen Masten und breiten Rahen, das sind die Stangen, die die Segel tragen, verdanken. Verglichen mit anderen Seglern können sie weniger Fracht befördern und brauchen eine größere Mannschaft. Damit wir mal einen Eindruck bekommen, was Peggy auf der Seefahrtsschule in Enkhuizen lernen musste:

Zum Üben: Full-rigged ship at anchor: Fore mast; 2. Fore topmast; 3. Fore topgallant mast; 4. Fore royal mast; 5. Fore skysail mast; 6. Fore skysail pole; 7. Main mast; 8. Main topmast; 9. Main topgallant mast; 10. Main royal mast; 11. Main skysail mast; 12. Main skysail pole; 13. Mizzen mast; 14. Mizzen topmast; 15. Mizzen topgallant mast; 16. Mizzen royal mast; 17. Mizzen skysail mast; 18. Mizzen skysail pole; 19. Bowsprit; 20. Jib boom; 21. Flying jib boom; 22. Martingale boom, Martingale; 23. Fore yard; 24. Lower fore topsail yard; 25. Upper fore topsail yard; 26. Lower fore topgallant yard; 27. Upper fore topgallant yard; 28. Fore royal yard; 29. Fore skysail yard; 30. Main yard; 31. Lower main topsail yard; 32. Upper main topsail yard; 33. Lower main topgallant yard; 34; Upper main topgallant yard; 35. Main royal yard; 36. Main skysail yard; 37. Crossjack yard; 38. Lower mizzen topsail yard; 39. Upper mizzen topsail yard; 40. Lower mizzen topgallant yard; 41. Upper mizzen topgallant yard; 42. Mizzen royal yard; 43. Mizzen skysail yard; 44. Outriggers; 45. Fore gaff; 46. Main gaff; 47. Spanker gaff; 48. Spanker boom; 49. Monkey gaff. 50. Fore rigging; Fore lower rigging. 51. Fore topmast rigging. 52. Fore topgallant rigging. 53. Main rigging; Main lower rigging. 54. Main topmast rigging. 55. Main topgallant rigging. 56. Mizzen rigging; Mizzen lower rigging. 57. Mizzen topmast rigging. 58. Mizzen topgallant rigging. 59. Fore topmast backstays. 60. Fore topgallant backstays. 61. Fore royal backstay. 62. Fore skysail backstay. 63. Main topmast backstays. 64. Main topgallant backstays. 65. Main royal backstay. 66. Main skysail backstay. 67. Mizzen topmast backstays. 68. Mizzen topgallnt backstays. 69. Mizzen royal backstay. 70. Mizzen skysail backstay. 71. Fore stay. 72. Fore topmast stay. 73. Jib stay. 74. Fore topgallant stay. 75. Flying jib stay. 76. Fore royal stay. 77. Fore skysail stay. 78. Flying jib boom stay; Flying martingale stay. 79. Jib boom stay; Martingale stay. 80. Martingale guys; Martingale back ropes. 81. Bobstays.; aus: Illustrated Marine Encyclopedia, Captein Heinrich Paasch, 1890
Auch das 1987 in Danzig gebaute Schulschiff der damals schon hundert Jahre alten Seefahrtsakademie von St. Petersburg, auf dem ich als Trainee ein wenig Seefrauenschaft lernen durfte, ist nach meiner Beobachtung ein Klipper:

Мир, Mir, The Tall Ships Races 2013; Rīga, Latvia, M.Strīķis
Das von Offizierin Peggy praktizierte female Empowerment gelang – mit Ausnahme meiner Segelkameraden Thilo und Asmus, die mir als „Windsbraut“ alles Mögliche zutrauten – auf der Mir eher weniger. Kaum war ich in vollem Ornat an Deck erschienen und hatte abwartend auf einer Luke Platz genommen, da riss ein Mitreisender (cis-männlich) meinen Gummistiefel hoch, den ausgebleichten, um zu überprüfen, ob denn die Sohle stimme. Sie stimmte: an Deck braucht eine nämlich kein Profil, zumindest nicht unter den Füßen:), sondern ganz platte Sohlen, die sich ein wenig rutschfest festsaugen können, dafür haben sie feine wellenförmige Rillen. War ja im Gegensatz zu meinen Mit-Trainees – Marke german besserwisser – schon seit mehr als zehn Jahren auf mehreren Meeren auf größerer und kleinerer Fahrt gewesen; verfügte gar über ein Seefahrtsbuch, das mir bedingte Tropentauglichkeit attestiert, die ich 1984 auf dem Roten Meer erproben durfte, nachdem ich erstmal quasi das deutsche Forschungsministerium empowern musste, das den Saudis, die unsere Forschungsfahrt auf dem Roten Meer beauftragt hatten, klein bei geben und keine Frauen an Bord lassen wollte. Never give up! Vor allem, wenn du es besser weißt:)
Im selben Jahr erwarb ich auf recht ekligem und herausforderndem Wege ein Zertifikat für die erstmalige Überquerung des nördlichen Polarkreises zu Wasser, gesegnet von Neptun persönlich.
Als ich dann einige Jahre später auf der Mir dran war beim Segelsetzen, kam doch glatt einer vorbei und riss mir den Tampen aus der Hand, gerade als ich den richtigen in diesem „Spinnennetz“ entziffert hatte. Er hielt Hissen wohl für eine Männerdomäne. Apropos Verben mit -iss-: die meisten Männer gehen beim Wasserlassen über Bord. Und ich riss meinen Job wieder an mich.
Die Mir ist ein Vollschiff. So dürfen sich nur mit mindestens drei rahgetakelten Masten ausgestattete Gefährte nennen.

Die Mir ist ein Vollschiff, denn sie hat mindestens drei rahgetakelte Masten. Das Bild zeigt sie bei der „Sail de Ruyter in Vlissingen/Niederlande, Autor*in: Mz
Die Statsraad Lehmkuhl, 1914 im Deutschen Reich gebaut, 1919 als Reparationszahlung an England abgetreten, und 1923 vom Norwegischen Reedereiverband gekauft, auf der ich von Hamburg nach Bergen segeln durfte, auf einer uralten Handelsroute, ist ebenfalls ein Segelschulschiff.

Statsraad Lehmkuhl, Bruno Girin
Aber sie ist kein Vollschiff, denn sie trägt nur an den vorderen Masten Rahsegel, hinten hingegen Schratsegel. Die kennt ihr alle, nur vielleicht nicht unter diesem Namen.

Schratsegel sind alle in Ruhestellung in Richtung der Längsachse gesetzten Segel, auf diesem Bild also alle bis auf das Rahsegel unten rechts. Seebeer/Hans Koberger
Auf der Statsraad Lehmkuhl kletterten wir ins Rigg. Rigg oder Takelage, das sind die Masten und das Tauwerk, das sie hält. Es hielt auch mich, aber meine Psyche machte nicht mit, war fest davon überzeugt, dass ich von diesem Korb da oben, ins Leere tretend, nie wieder runterkommen würde. Nun gut, ich kam runter. Da kann einer auch keine/r helfen. Geht doch;)
So, nun wenden wir uns wieder dem Windjammer an der Hafeneinfahrt von Stavoren zu: weder Klipper noch Vollschiff, aber sehr schön, finde ich. Wir lagen da noch ein Weilchen platt wie Flundern – die es hier ebensowenig gibt im IJsselmeer, dem großen See, wie Dorsche, beide Arten brauchen Meerwasser – im Sand und kaperten dann die einzige Einkaufsquelle, den Supermarkt. Ich bekam dort Matjes und VAN DIJK´s Ambachtelig FRIES Roggebrood – das ist viel leckerer und haltbarer als alles andere, was da so in den Regalen liegt.

„Es braucht seine Zeit“, sagt Geert van Dijk Junior, der schon seit seiner Kindheit am Backtrog steht, ab 3 Uhr morgens, damit der Teig einen Tag reifen kann. Wie schon seit mehr als hundert Jahren wird er dann bei niedriger Temperatur 18 Stunden gebacken. Ich lege mir uralten Gouda oder frischen Matjes drauf.

Laura und Peggy bereiteten sich ein vielfältiges veganes Draußen-Menü, während ich versuchte, meinen Matjes einigermaßen manierlich zu vertilgen.
Peggy eilt dann den Traditions-Schiffern zur Hilfe beim Anlegen, der Hafen füllt sich.

Später schmieden wir drei im Vissermann Pläne für den Frauentörn auf der Vega 2025 powered by Fairwinds Collective and EcoClipper (fairwindscollective.org): Female Empowerment at sea.
